Dem Fußball geht es wirtschaftlich gut. Keine Frage. Dem europäischen auf Top-Level sowieso. Der europäische Fußball ist der populärste Sport weltweit und kreiert eine grenzenlose Aufmerksamkeit, die Champions League als internationales Flaggschiff ist ein Ereignis mit einer enormen Reichweite und Strahlkraft. Spitzenvereine inklusive ihrer Top-Stars werden frenetisch gefeiert und von Fans rund um den Globus verehrt.
Aber wen genau betrifft diese sehr positive Momentaufnahme tatsächlich innerhalb der europäischen Vereins- und Ligenlandschaft? Was passiert mit den Vereinen, die es nicht auf die große Champions-League-Bühne schaffen? Und was bedeuten die aktuelle Entwicklung und der momentane Status Quo im Hinblick auf die ökonomische Entwicklung des europäischen Fußballs in den kommenden Jahren?
Auf der Spielmacher Konferenz 2019 diskutierten Robert Müller von Vultejus, Managing Director der führenden Sportmarketing Agentur Lagardère Sports Germany, und Georg Pangl, seines Zeichens Vorsitzender der Association of European Professional Football Leagues, im Fire Side Chat „The Future of Football in Europe“ genau diese Fragestellungen. Was liegt angesichts eklatant steigender Spieler-Marktwerte, immer höheren Investments durch externe Geldgeber und die kontinuierliche Reformierung europäischer Clubwettbewerbe vor uns? Denn: Andere kommerzielle Entertainment-Angebote konkurrieren längst, sodass der Fußball um die Aufmerksamkeit seiner Fans und gerade der jungen Zielgruppe zunehmend kämpfen muss.
Wer bekommt eigentlich was?
Der europäische Fußball ist reich – so platt das klingen mag, aber das ist eine Tatsache. Das gilt aber längst nicht für alle in diesem Kosmos befindlichen Beteiligten, was Georg Pangl in seinem Vortrag „Quo Vadis European Football“ mit Zahlen belegte. So erhöhte sich der Anteil der zwölf größten Clubs an den Sponsoring-Einnahmen aller europäischen Vereine in den Jahren 2008-2017 von 22% auf mittlerweile 39%.

Eine Entwicklung, die durch die konzentrierte Ausschüttung der Einnahmen aus den UEFA-Clubwettbewerben an wenige große Clubs verstärkt wird und somit den nationalen und europäischen Wettbewerb in seiner Einseitigkeit fördere, wie Pangl betont.
81 % oder auch € 686 Millionen der insgesamt € 850 Millionen an zusätzlichen Erlösen der UEFA-Klubwettbewerbe der Jahre 2018-2021 fließen an die Teilnehmer der Champions League. Im Kontrast dazu: Nur € 33,5 Millionen (4,5%) der Zusatzerlöse werden als Solidaritätszahlungen an ca. 700 Klubs, die an keinem der europäischen Wettbewerbe teilnehmen, verteilt. Somit erhöhen sich die Solidaritätszahlungen an die kleineren europäischen Vereine zwar total, reduzieren sich aber um 1,2% pro Jahr.

Georg Pangl fordert deswegen hier eine klare Anpassung der bestehenden Verteilung: Eine Erhöhung der Solidaritätszahlungen an kleinere Vereine von bisher 7,3% auf 20%. Gleichzeitig warnt Pangl davor, den Großteil der ca. 990 durch die European Leagues vertretenen Clubs durch die avisierte Europapokalreform aus der Champions und Europa League auszuschließen. Langfristig finanzieller und sportlicher Nachteil für die Mehrheit der Klubs führe zu extremer Einseitig- und Vorhersehbarkeit des Wettbewerbs, insbesondere in den nationalen Ligen. Serienmeisterschaften sowie Champions League- und Europa League-Abonnements seien demnach keine Überraschung.
Die Schere geht auseinander
Zu beobachten ist, dass der Wettbewerb meist nur dort stark bleibt, wo alle Clubs sehr zahlungskräftig sind, vor allem in England. Ein Blick auf die Top 20 der Deloitte Football Money League zeigt bereits, dass Diversität im europäischen Raum, was die Vereine angeht, kaum gegeben ist. Tatsächlich sind die meisten Fans, und gerade die aus dem nicht-europäischen Ausland, mehr an Teams wie Liverpool, Manchester United, Bayern München, Real Madrid, Barcelona oder Juventus Turin interessiert und weniger an AIK Solna (Schweden), Slavia Prag (Tschechien), BATE Borisov (Weißrussland) oder Ludogorets Rasgrad (Bulgarien). Obwohl diese Teams an Europacup-Wettbewerben teilnehmen, sind nicht international partizipierende Clubs wie Schalke 04 oder West Ham United (beide in der Top 20) relevanter.
Eine Lösung nach amerikanischem Vorbild?
Dieser Argumentation folgend, steht der europäische Fußball somit bereits jetzt beinahe am Scheideweg. Robert Müller von Vultejus meint, dass das Ökosystem Fußball zwar im Moment „unglaublich stabil und stark“ sei, es allerdings nun gelte, einige Grundsatzentscheidungen zu treffen, entweder „in Richtung einer europäischen Super League“ oder andernfalls dahingehend „das Rad wieder etwas zurückzudrehen“. Das amerikanische Franchise-System im Spitzensport sei zum Beispiel in vielen Bereichen dem europäischen überlegen und schaffe durch seine Struktur- und Draftsysteme eine ganz andere Art der Spannung in den sportlichen Wettbewerben und könne durchaus als mögliches Vorbild dienen.
Solche Lösungsansätze nach dem System von Übersee – diesbezüglich sind sich Pangl und Müller von Vultejus einig – könnten eine Angleichung der Kräfteverhältnisse im Fußball herbeiführen. Allerdings müssten die Voraussetzungen für alle europäischen Ligen gleich sein; sonst kommt es weiterhin zur Abwanderung von Spielern, Trainern und Fans hin zum Höchstbietenden. Die Frage, ob die aktuell wirtschaftlich sehr erfolgreichen Vereine ihren Status und Vorsprung zugunsten eines spannenderen Wettbewerbes ein Stück weit gefährden wollen, bleibt bei all dem natürlich bestehen.
Was will eigentlich der Fan?
Innerhalb all dieser Diskussionen benennt Robert Müller von Vultejus ein weiteres Kernproblem: Der Fan und seine Belange sind von essentieller Bedeutung in dieser Debatte. Dies findet in der Diskussion bislang so gut wie nicht statt. Das muss sich ändern, denn der Fan ist das wichtigste Teil des Sport-Ökosystems, denn er finanziert das gesamte System. Wer einen konkreten Zugang zum Fan und dessen Daten hat, befindet sich in der Pole Position. Deswegen kämpfen Vereine, Medien, Sponsoren, Athleten und alle weiteren Stakeholder der Branche um die Liebe und die Aufmerksamkeit der Fans.
Der große Knackpunkt für die Entwicklung des europäischen Fußball ist nämlich auch die Frage, ob der Fan wirklich mehr Demokratie in den Wettbewerben sehen möchte oder am Ende doch das Entertainment der Top Clubs genießt, die immer neue Superlative schaffen. Noch scheint sich kein konkreter Trend hier final abschätzen zu lassen. Denn zum einen ist auf der einseitigen Superlative-Seite noch keine große Ablehnung zu spüren, Sponsoring- und TV-Erlöse steigen. Die Fußballfans wollen ihr Erlebnis behalten: „Du willst die Stars sehen, Ronaldo, Messi, Mbappé. Das ist, was Spaß macht.“ bekannte auch Oliver Kahn auf der Spielmacherkonferenz. Ob das Interesse der kommenden Fan-Generationen wächst, wenn mehr Vereine profitieren?
Das ist wie bereits erwähnt schwierig abzuschätzen, denn auch der ausgeglichene Wettbewerb zieht bei den Fans: Die Premier League wird nicht umsonst überall gefeiert, die Meister wechseln sich dort seit Jahren ab, Leicester City ist eines der größten Fußballmärchen überhaupt gelungen und das 2016. Als Bayern gerade seinen vierten von nunmehr sieben Titeln in Folge eingefahren hat. Bei Juventus war es Nummer fünf von acht.
Es muss zumindest die Möglichkeit geben, dass, wenn nicht alles, so doch vieles möglich ist. Denn bei anderen Angeboten ist das Überraschungsmoment da. Esports nimmt bei jungen Menschen sehr viel Raum ein, Streaming Plattformen wie Netflix konkurrieren schon länger mit der Sportschau. Wohin geht es also mit dem europäischen Fußball, sobald Messi und Ronaldo nicht mehr auf dem Platz stehen? Robert Müller von Vultejus und Georg Pangl meinen, der Fußball müsse aufpassen. Vielleicht, sagt Müller von Vultejus „nicht bereits in fünf Jahren, aber in zehn bis 20 Jahren“. Und die Weichenstellung sei nicht morgen, sondern sofort nötig.